Etwas Theorie

Bei der Kompressionstherapie wird auf ein Körperteil bzw. ein Gewebe – in erster Linie Gliedmaßen – von außen ein dosierter Druck ausgeübt. Dies wird realisiert durch Binden, Bandagen, Strümpfe, Strumpfhosen und andere gestrickte Kompressionsteile, pneumatische Druckmanschetten oder durch Eintauchen in Wasser (Wassergymnastik etc.).

Dieser Online-Workshop widmet sich ausschließlich der Kompressionstherapie mittels Bandagierung, da diese trotz ihrer hervorragenden therapeutischen Wirkung und universellen Anwendbarkeit in der medizinischen Versorgung viel zu wenig beachtet und angewandt wird.

Die Kompressionstherapie ist grundsätzlich mit Bewegung zu kombinieren.

Jede Kompression – ob Bandage oder Strumpf – übt im Ruhezustand einen bestimmten Druck – den Ruhedruck“ aus. (Die Kompressionsklasse der Strümpfe bezeichnet immer den Ruhedruck.) Sobald sich bei Bewegung die Muskulatur anspannt, drückt sie gegen die Kompression, worauf diese mit einem Gegendruck – dem “Arbeitsdruck“ – reagiert.

Beim Lip- und Lymphödem – aber auch bei Venenerkrankungen – soll der Arbeitsdruck möglichst hoch sein, um eine gute Entstauung und Entödematisierung zu bewirken. Der Ruhedruck soll dagegen gerade nur so groß sein, um das Austreten von Wasser (Filtration) aus den Blutkapillaren ins Gewebe zu reduzieren, aber gering genug, um die Mikrozirkulation in der Haut nicht zu beeinträchtigen.

Je unnachgiebiger das Kompressionsmaterial, desto höher der Arbeitsdruck. Je elastischer das Material ist, desto höher der Ruhedruck. Deshalb werden für die Kompressionsbandagierung Kurzzugbinden verwendet. Diese haben nur ein sehr geringes Dehnungsvermögen. Dadurch werden ein hoher Arbeits- und ein niedriger Ruhedruck erreicht. Die Kompression ist also weniger ein Zusammenpressen des Gewebes, sondern eine Erhöhung des Widerstands gegen die Muskelarbeit. Zudem wird dank eines gewissen Massageeffekts verhärtetes Bindegewebe gelockert.

Die Kompressionstherapie erfüllt eine Vielzahl von Funktionen:

  • Sie wirkt der Filtration entgegen, es gelangt weniger Flüssigkeit aus den arteriellen Kapillaren ins Gewebe.
  • Sie verbessert die Funktion der Klappen und die Strömungsdynamik in den Lymphgefäßen und Venen und damit den lymphatischen und venösen Abfluss.
  • Sie wirkt dem “Volllaufen“ des Ödems aufgrund der Schwerkraft entgegen.
  • Sie aktiviert die Muskel- und Gelenkpumpe und verbessert dadurch den venösen und den lymphatischen Abfluss entgegen der Schwerkraft.
  • Sie verteilt die lymphpflichtige Last über eine größere Fläche, wodurch wesentlich mehr Blut- und Lymphgefäße an deren Abtransport beteiligt werden. Sie schafft also alternative Wege für den Lymphtransport.

Diese Faktoren bewirken eine Reduktion der lymphpflichtigen Last und verringern die Eiweißmenge im Gewebe. Dadurch wird das Blut im Verhältnis zum Gewebe eiweißreicher und zieht mehr Wasser aus dem Gewebe in die Blutgefäße zurück (Resorption).

Doch die Kompression zeigt noch weitere Wirkungen:

  • Sie verringert den Abstand zwischen den Blutkapillaren und den Zellen (“Transit- oder Diffusionsstrecke“). Dadurch können sie besser mit lebenswichtigen Stoffen versorgt und von Abfallprodukten befreit werden.
  • Sie verbessert die Mikrozirkulation des Blutes und intensiviert dadurch den Stoffaustausch der einzelnen Zellen im Gewebe.

Diese beiden Faktoren sind von größter Bedeutung. Denn wenn sich vermehrt Flüssigkeit im Interstitium ansammelt, “quetscht“ diese die Blutkapillaren und die Zellen auseinander. Die Substanzen, die zwischen den Blutkapillaren und den Zellen ausgetauscht werden müssen, um die Zellen am Leben zu halten, haben dann einen deutlich längeren Weg zu durchlaufen. Verdoppelt sich diese “Transit- oder Diffusionsstrecke“, verringert sich die Versorgung der Zellen auf ein Viertel. Bei einer dreifach größeren Diffusionsstrecke sinkt der Austausch auf ein Neuntel! Je stärker also ein Ödem ausgeprägt ist, desto schlechter wird das Gewebe versorgt und es kommt entsprechend vermehrt zum Zelltod. Und da abgestorbene Zellen für Bakterien und andere Mikroorganismen ein “gefundenes Fressen“ sind, laufen im ödematisierten Gewebe viele Entzündungsprozesse ab, die wiederum schädlichen Einfluss auf das umgebende Gewebe haben. Aufgrund dieser Vorgänge ist die körpereigene Abwehrkraft von Lymphödem-Patienten geschwächt.

Durch den von ihr ausgeübten Druck verringert die Kompressionstherapie den Abstand zwischen Blutkapillaren und Zellen, wodurch letztere besser versorgt werden. Dies stärkt das Immunsystem sowohl im Ödembereich als auch allgemein: Das Risiko von Folgeerkrankungen verringert sich.

Die Kompression trägt auch zur Lockerung von verhärtetem Gewebe (Fibrosen) bei. Noch ist nicht ganz geklärt, worauf diese Wirkung beruht, sie ist jedoch eindeutig festzustellen. Auch in der Versorgung von Wunden wird die Kompressionstherapie eingesetzt, um hartes Narbengewebe zu verhindern bzw. aufzuweichen. Nachdem die Verhärtungen rückgängig gemacht sind, können die Lymphgefäße in dem Gebiet wieder besser funktionieren.

Wir sehen also, dass die Kompressionstherapie in der Behandlung von Ödem-Erkrankungen eine zentrale Bedeutung einnimmt. Die MLD verbessert die Lymphbildung (damit bezeichnet man die Aufnahme der lymphpflichtigen Last in das Lymphgefäßsystem) und den Lymphtransport. Dieser Effekt klingt aber nach der Anwendung innerhalb weniger Stunden ab, wenn die Kompressionstherapie unterbleibt oder unsachgemäß durchgeführt wird. Und wenn man vergleicht, wie lange die MLD-Anwendungen (zusammengezählt) im ambulanten Bereich pro Woche dauern und wie lange dagegen die regelmäßig angewandten Kompressionstherapie, wird klar, welche Bedeutung letzterer zukommt.